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In dem Buch von A. Rapp

Gnadenspuren
50 Jahre Gemeinschaftsarbeit in Ost- und Westpreußen einschließlich der abgetrennten Gebiete
1877 - 1927

ist zu lesen:
M e m e l

In Bommelsvitte, einem Vorort von Memel, wohnte Mitte der 1840 er Jahre in einem kleinen, niedrigen, mit Stroh gedeckten Hause der alte Schneidermeister Arndt. Er lud an jedem Sonntagnachmittag eine Anzahl junger Leute, Jünglinge und Jungfrauen, zu sich ein und hielt mit ihnen christliche Versammlungen ab. Zu jener Zeit kam zu Br. Arndt ein wandernder Schneidergeselle aus Süddeutschland und nahm Arbeit bei ihm. Es war Gottfried Kinder, der seinen Namen zu Recht trug, denn er hatte "Frieden mit Gott". Eine fromme Mutter hatte sein Herz frühe zum Heiland hingelenkt. Schon als Jüngling durfte er den Herrn klar erkennen. Er hatte schon manche Glaubensprobe durchgemacht und hatte einen inneren Drang, für den Herrn zu wirken und zu zeugen. Im Jahr 1850 verheiratete er sich mit Dorothea Dreys. Die von Arndt angefangenen Versammlungen wurden durch ihn weitergeführt. Schließlich wurde der Raum zu klein. Man erhielt dann die Schule in Bommelsvitte für die sonntäglichen Versammlungen. Als später die Schule aufgegeben werden mußte, wurde die Versammlung in das von Br. Kinder in der Polangenstraße neu erbaute Haus verlegt, in welchem ein Raum als Betsaal eingerichtet worden war. Hier begann man auch schon mit der Sonntagsschularbeit, um schon den Kindern den Heiland nahezubringen. Die Versammlung hielt jetzt neben Br. Kinder noch der gläubige Lehrer Urbschat, der spätere Judenmissionar und Vater der beiden Gemeinschaftspastoren. Infolge Geschäftsunglücks verlor Br. Kinder sein Haus. Nun mieteten die Brüder den sogenannten Mertineitschen Keller, auf welchem der Besitzer einen Betsaal erbaut hatte. Neben Kinder und Urbschat war auch noch der gläubige Lehrer Lipke in der Leitung der Versammlung tätig. Von Zeit zu Zeit kamen auch auswärtige Brüder und dienten der Versammlung mit dem Worte Gottes, so Johannes Seitz, Martin Blaich und andere. Als der letztgenannte Saal nicht mehr ausreichte, faßten die Brüder den Entschluß, einen eigenen Saal zu bauen. Zu diesem Zweck wurde ein Grundstück in der Jägerstraße gekauft, später aber, weil für nicht passend befunden, wieder verkauft. Schließlich kaufte Br. Friedrich Hoffmann das Grundstück Baakenstraße 7, das bis zur Rippenstraße durchgeht. Er war Bauunternehmer, und es sollte nun mit dem Bau eines Vereinshauses begonnen werden. Es fehlten aber die Mittel zur Beschaffung der Baustoffe. Da begab es sich, daß das alte städtische Pfandhaus zum Zwecke des Abbruchs meistbietend zum Verkauf kam. Dies erwarb man. Es wurde dann abgebrochen und gleichzeitig das Vereinshaus aufgebaut. Brüder vom Lande stellten ihre Fuhrwerke zur Verfügung, die Städter halfen durch Gaben und legten persönlich bei den Arbeiten mit Hand an. Es gab ein emsiges und frohes Helfen und Schaffen. Am 7.*) August 1883 wurde das Vereinshaus für den Dienst des Herrn eingeweiht. Hierbei wirkte auch der Gesangverein mit, der 1881 gegründet worden war. Die Gemeinschaft als solche hatte das Grundstück nicht auf ihren Namen erwerben können, da sie nicht die Rechte einer gesetzlichen Körperschaft besaß. So stand das Grundstück auf dem Namen des Br. Hoffmann. Auf die Dauer konnte das aber nicht so bleiben, da sich im Falle seines Todes für die Gemeinschaft Nachteile hätten ergeben können. Aus diesen Umständen erwuchsen mancherlei Schwierigkeiten, die den Brüdern viel Sorgen bereiteten. Das Grundstück wechselte mehrere Male den Besitzer. Einer derselben beanspruchte es sogar als sein persönliches Eigentum, und es mußte von ihm zurückgekauft werden. Es kam zu inneren Kämpfen; dazu verursachten die verschiedenen Umschreibungen des Grundstücks bei den Behörden immer neue Kosten. Um die erforderlichen Mittel zu beschaffen, gründete man den sogenannten "Wergverein", von dem an anderer Stelle dieses Büchleins erzählt wird. Schließlich ging das Vereinsgrundstück gegenüber den Behörden in die Hände der vier Brüder Gottfried Kinder, Hauptlehrer Eynars, Theodor Dreys und Ernst Seidler über. Br. Dreys übernahm die Verwaltung des Grundstücks, während die Leitung der Gemeinschaft in erster Linie in der Hand Kinders lag. Beim Halten der Versammlungen halfen noch die Brüder Lehrer Lipke und Hauptlehrer Eynars mit. Br. Kinder bezog die Wohnung in dem neugebauten Hause und bezahlte dafür an die Gemeinschaftskasse die Miete. Als Br. Kinder älter wurde, konnte er der Sache nicht mehr so gut vorstehen; auch mußte er wegen seiner geringen Erwerbsfähigkeit seine Lebenshaltung einschränken. So wandten sich die Brüder schließlich im Einverständnis mit der Gemeinschaft an die Pilgermission zu St. Chrischona und baten, dieselbe möge das Grundstück übernehmen und einen Chrischonabruder in Memel stationieren. Dieser Bitte wurde entsprochen. Es wurde Br. Wisotzky, der damals in Tilsit wirkte, nach Memel versetzt. Im August 1888 trat er die Arbeit an. Von dort an ging das Werk ohne weitere Erschütterungen seinen Gang. Am 8. Oktober 1888 konnte ein Männer= und Jünglingsverein gegründet werden. Durch denselben ist mancher Jüngling hindurchgegangen: Franz Bläsner, Missionar in China, Ernst Baum, als Prediger in der Pfalz wirkend, und der heutige Leiter der Arbeit, Br. Pods. Am 28. August 1889 wurde ein Jungfrauenverein gegründet, der, als er sein zweites Jahresfest feierte, bereits über 60 Mitglieder zählte. Die Arbeit an der Jugend wurde in der Gemeinschaft in Form von Jünglings= und Jungfrauenvereinen getan. Nachdem die Jugendbewegung "Entschieden für Christus" (EC) 1894 auch in Deutschland Fuß gefaßt hatte, fand deren Arbeitsweise bald auch Eingang bei den Christlichen Gemeinschaften und damit auch in die Jugendarbeit des Chrischonaverbands. Es sind (1927) 164 Jugendbundmitgliedern in Memel. Am 28. August 1893 kam es auch zur Gründung eines Blaukreuzvereins, der den Kampf gegen die verderblichen Trinkunsitten und ihre Folgen mit Eifer aufnahm. Br. Wisotzky diente auch in manchen Orten auf dem Lande; selbst in das benachbarte Rußland hinein führten ihn zuweilen seine Reisen. In dem Vorort Schmelz konnte im Jahr 1899 ebenfalls ein Vereinshaus erbaut werden. Auch ein Jugendbund besteht dort und ein Gesangchor. Als Gehilfen dienten neben Br. Wisotzky die folgenden Brüder: Von 1902 bis 1905 Br. Dodschuweit, von 1909 bis 1911 Br. Pods, von 1912 bis 1914 Br. Dobeck, von 1914 bis 1915 Br. Max Zander. Am 22. Juli 1915 wurde Br. Wisotzky vom Herrn abgerufen. Sein Nachfolger wurde Br. Rudolph. Kurze Zeit, von Januar bis Juli 1919, war Br. Pods sein Mitarbeiter. Nachdem der gläubige Justizsekretär Grube nach Memel versetzt worden war und in der Gemeinschaft, namentlich in der Jugendabteilung, eifrig mitzuarbeiten begonnen hatte, kam es schließlich 1920 zu einer Absplitterung, indem sich Br. Grube mit etlichen anderen Gliedern trennte und eine eigene Gemeinschaft gründete. Um den Riß womöglich zu heilen, wurde an Br. Rudolphs Stelle Br. Rapp im Oktober 1920 nach Memel versetzt und gleichzeitig auch Br. Pods. Ersterer sollte die alte Gemeinschaft bedienen und letzterer die neue nebst dem Vorort Schmelz; beiden Brüdern wurde aufgetragen, auf eine Wiedervereinigung hinzuwirken. Die Brüder selbst verstanden sich auch gut; aber zu der Wiedervereinigung kam es leider nicht, nur daß einige Geschwister sich von Br. Grube lösten und zu der alten Gemeinschaft wieder zurückkehrten. Im Januar 1923 übernahm Br. Rapp den Dienst als Reisesekretär und zog nach Bartenstein. An seiner Stelle übernahm Br. Pods die Leitung der Memeler Arbeit. Von Herbst 1923 bis Herbst 1925 war Br. Höver sein Gehilfe. Seit Herbst 1925 ist es Br. Maus. Infolge des Wachstums des Werkes sah man sich verschiedentlich genötigt, die Räume zu erweitern. So wurde schon 1889 der Saal vergrößert, 1909 ein kleiner Saal angebaut und 1925 eine abermalige Vergrößerung des Saals vorgenommen. Unter Br. Rudolph wurde 1916 im Erdgeschoß des an der Baakenstraße gelegenen kleinen Wohnhauses ein Jugendheim eingerichtet, auch 1919 ein gegenüberliegendes, von der Baakenstraße zur Töpferstraße durchgehendes größeres Grundstück erworben in der Absicht, dort einmal ein neues Gemeinschaftshaus zu erbauen. Dazu ist es aber bis jetzt nicht gekommen, besonders weil durch die Abtrennung des Gebiets vom Deutschen Reich und seine Zuteilung an Litauen mancher Verlust an Mitgliedern entstand und außerdem das Gebiet unter einem starken wirtschaftlichen Druck und Stillstand leidet.

*) Johannes Sembritzki schreibt 1918 in seinem Buch "Geschichte des Kreises Memel", das Vereinshaus sei am 5. August 1883 eingeweiht worden.

Die Werbekarte für den Gemeinschaftshaus-Neubau, zu dem es tatsächlich nicht mehr kam.

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