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Überragende Bedeutung im Memeler Wirtschaftsleben besaß die Zellstoffindustrie, die in Memel-Schmelz ein großes Werk mit rund 1000 Beschäftigten betrieb. Am 15. 11. 1898 war die Zellulosefabrik Memel AG. in Hannover mit einem Aktienkapital von 800 000 Mark begründet und 1899 in die Handelsregister von Memel und Hannover eingetragen worden. Mitte Mai 1899 erfolgte in Memel der erste Spatenstich, und am 20. 5. 1900 wurden erstmalig die Kocher beschickt. Das Unternehmen hatte sich von dem Werk eine gute Rentabilität versprochen, da es sehr günstig an der Mündung des holzreichen Memelstromgebietes lag, da das Holz billig bis an das Ufer des Werkes geflößt werden konnte und da hier selbst Kaianlagen zur Verladung der fertigen Produkte auf Seedampfer zur Verfügung standen - ein Vorteil, den die Werke in Ragnit und Tilsit-Splitter nicht besaßen. Wenn zunächst nicht alle Träume reiften, so waren daran verschiedene Faktoren schuld. Man hatte zu groß und zu kostspielig gebaut. Am 29. 3. 1900 brannte die chemische Abteilung nieder. Der Wiederaufbau verzögerte die volle Inbetriebnahme. Die technische Einrichtung hatte ihre Kinderkrankheiten, und die Arbeiterschaft war noch nicht genügend geschult. 1901 mußte das Kapital um 450 000 Mark erhöht werden. 1902 fand eine Kapitalzusammenlegung im Verhältnis 5 : 3 statt. Personalveränderungen in der Leitung brachten auch keinen Aufschwung. So ging das Werk 1905 durch Fusion in den großen Aschaffenburger Zellstoff-und Papierkonzern über. Diesem gelang es, mit geeigneten Fachkräften das Memeler Werk zu einem der bedeutendsten Zellstoffbetriebe des europäischen Festlandes auszubauen. Die Abtrennung des Memellandes machte die formelle Lösung von der Aschaffenburger Muttergesellschaft zweckmäßig. Eine Aktiengesellschaft für Zellstoff- und Papierwarenfabrikation in Memel erwarb das Memeler Werk für 6 Millionen Mark. Einen Grundbesitz von 35 ha stellt das Fabrikgelände dar, auf dem sich mit 101 m in Memels höchster Fabrikschlot erhob. Sechs Dampfkessel mit 2400 qm Heizfläche lieferten durch zwei Dampfmaschinen 2000 PS und durch zwei Dampfturbinen 2750 kw. Elf Zellulosekocher, zwei Langsiebmaschinen, eine Papiermaschine konnte bei 16stündiger Arbeitszeit und voller Ausnutzung der Anlagen ca. 40 000 t Zellulose jährlich erzeugen. Die tatsächliche Leistung blieb hinter diesen Maximalzahlen zurück. In den letzten Jahren vor dem ersten Weltkrieg wurden rund 30 000 t jährlich produziert. Die Leistung sank während des Krieges auf 15 - 20 000 t und stieg in der Abtrennungszeit erneut auf 30 - 36 000 t trockenen Zellstoffs und 2000 t Papier. 200 - 220 000 Raummeter Holz wurden jährlich per Bahn, in eigenen Schiffen und durch Flößerei in das Werk geschafft. Modernste Lade- und Löschvorrichtungen konnten diese Mengen mühelos bewältigen, ebenfalls die Unmengen von 40 000 t Kohle, 8000 t Schwefelkies und 5000 t Kalksteinen, die jährlich benötigt wurden. Das Fabrikat hatte auf dem Weltmarkt einen ausgezeichneten Ruf. Als Nebenbetrieb lief ab 1917 das Ausscheiden von Sprit aus den Ablaugen, das von 25 000 l bei Kriegsende auf 1 250 000 l in den dreißiger Jahren gesteigert werden konnte. Es handelte sich teils um Rohsprit, teils um rektifizierten Sprit, sog. Sulfitsprit. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Werkes für das Memelland war bedeutend. Millionensummen flossen an Holzfäller, Fuhrleute, Flößer, Schleppdampfer- und Boydackbesitzer. Die zuletzt unter Direktor Rieth beschäftigten 1000 Arbeiter und 50 Angestellten führten 1924 dem Wirtschaftsleben Löhne und Gehälter von 4 Mill. Lit jährlich zu.



Fotograf: 

unbekannt


Das in der Brückenkopfzeit des zweiten Weltkriegs schwer beschädigte Werk wurde unter russischen Fachkräften wieder in Gang gesetzt, ist aber bis in die Gegenwart Sorgenkind der Wirtschaft geblieben, da es unrentabel arbeitet und schlechte Qualitäten liefert.

Das Buch vom Memelland - Heimatkunde eines deutschen Grenzlandes - von Heinrich A. Kurschat, 1968

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