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Die Memeler Heringsbrake lag am Östlichen Speicherplatz bei der Dange nahe beim Aschhofgraben.
Heinrich A. Kurschat berichtet in seinem Das Buch vom Memelland auf Seite 109 von der Errichtung der Heringsbrake im Jahre 1857. Außerdem liest man im selben Buch: Fuhr man mit dem Bäderdampfer "Kurisches Haff" in die Dange hinein, so sah man zunächst auch nur Lagerhallen, die Reismühle, Speicher, Markthallen, das Hauptzollamt und die Flachswaage nebst Heringsbraken. Heringsbraken in der Mehrzahl? Gab es bis ins 20. Jh. hinein mehrere solcher Einrichtungen in Memel? Wo lagen diese genau, und wurde dort dann auch tatsächlich Hering "gebrakt"? Diesem Ausdruck für das Überprüfen, Klassifizieren, Sortieren und Aussondern von Waren begegnet man in etlichen Schreibweisen, wie braken, braaken, bracken, wraken oder wroken. In Memel schrieb man meist "braken", deshalb die "Heringsbrake".

Johannes Sembritzki schrieb: Der große Brand 1854 rief auch eine große städtische Bauthätigkeit hervor; ausser den Schulen, ... wurde die Flachswaage neugebaut und im Herbst 1856 eröffnet, 1857 die Heringsbrake zu bauen begonnen ... Dieselbe wird, nachdem am 1. September 1874 die Stadtbrake vollständig aufgehört hat, an Kaufleute als Lagerhalle vermiethet.1) Ob und wo in Memel schon vor 1857 Heringe gebrakt wurden, berichtet Sembritzki hier leider nicht. Auch für die Zeit nach 1874 schreibt er nichts weiter.

Für das Jahr 1913 ist an anderer Stelle2) zu lesen:
Die Stadt Memel unterhält als einzige Stadt eine als gewerbliche Unternehmung anzusprechende Markthalle, die einen Reinertrag von 4360 Mk. abwirft; desgl. unterhält sie eine Flachswage und eine Heringsbrake, die Überschüsse von 7260 Mk. bezw. 1260 Mk. erzielen; diese letzteren Einrichtungen beruhen auf der Sonderstellung Memels als Seehafenstadt. Damit wissen wir nun, daß die Memeler städtische Heringsbrake mindestens noch kurz vor dem 1. Weltkrieg mit Gewinn betrieben wurde; leider bleibt die Frage offen, ob als Brakanstalt oder durch Mieteinnahmen.

Durch Zeitungsmitteilungen über den großen Brand - er brach am 4. Oktober 1854 aus - erfährt man aber auch noch, daß es in Memel bereits vor diesem Unglück eine Heringsbrake gegeben hat. Denn wie berichtetet wurde, war bei dem Feuer u.a. fast die ganze Altstadt und damit das Kreisgericht, die Bank, das Packhofgebäude, alle drei Kirchen (luth., litth. und reform.), Schauspielhaus, Flachswaage, alle Schulen und die königlichen Salzspeicher sowie die Heringsbrake heruntergebrannt.

Schließlich findet man für das noch weiter zurückliegende Jahr 1809 die Information, daß es schon in jenen Jahren eine Heringsbrake in Memel gab: §31. Die Schiffe, Kähne u.s.w., die ihre Waaren ohne große Unbequemlichkeit an einer andern Stelle im Strohm laden und lossen können, müssen denjenigen Platz machen, die diese Stelle nöthig gebrauchen, vorzüglich denen, die bei dem Königlichen Packhofe, bei der Heringsbrake, bei der Flachswaage, oder bei unmittelbar an den Strohm stoßenden Speichern anzulegen haben3).

Seit wann mag überhaupt in Memel eine Heringsbrake existiert haben? Vermutlich nicht bevor der große Kurfürst in dem Privilegium vom 15. Oktober 1657 illimitirten Handel, Braake und Waage4) gestattete.

Welches die Aufgaben der einstigen Heringsbraker waren, kann man zum Beispiel der Revaler Revidierten Fisch-Wraker-Ordnung vom 4. Decbr. 1823 entnehmen. Gewiß galt in Memel eine vergleichbare Ordnung. Zunächst war zu beachten:

    Alle gesalzenen Fische, sie mögen Namen haben, wie sie wollen, zu Wasser oder zu Lande ankommen, müssen nach dem Wrakhofe geführt und daselbst gewraket und aufgepackt werden.
Einige der Pflichten eines geschworenen Fisch-Wrakers, also eines vereidigten Gutachters auch für Heringe, waren dann z.B.:
  • die zum Wraken gebrachten Fastagien5) ohne allen Aufenthalt bei seiner Verantwortlichkeit zu expediren, und darauf zu sehen, daß die gewrakten Fastagien sogleich aus dem Wrakhofe abgeführet werden, und nur in außerordentlichen Fällen es zu gestatten, daß dieselben, jedoch höchstens nur 48 Stunden, auf dem Wrakhofe stehen bleiben dürfen.
  • Beständig tüchtige Knechte zu halten, die besonders treu und nüchtern sind, und von dem Herrn Kämmerer in Absicht ihrer Verpflichtungen in Eid genommen werden müssen.
  • Falls eine Tonne mehr oder weniger als das gesetzliche Maaß enthält, solches nicht nur in dem Wrakzettel anzuzeigen, sondern auch auf jedem minderhaltigen Gefäße den wahren Gehalt vermittelst eines glühenden Eisens einzubrennen.
  • Nachdem die Fastage wenigstens 12 Stunden auf dem Boden gestanden, den Deckel jeder Fastage zu öffnen und die Laake abzapfen zu lassen, beim Abzapfen der Laake, sie mag gut oder verdorben seyn, in einem besonderen Gefäße auffassen, und nicht zum Nachtheil der Gesundheit, wie solches seither bisweilen geschehen, in dem Wrakhof verschütten zu lassen, auch genau darauf Acht zu haben, daß die gute Laake zum etwaigen Aufgießen aufbewahrt, und die schlechte an einem entfernten Orte ausgegossen werde.
  • Nach dem Abzapfen der Laake die Fische, so weit er kommen kann, bei einer Tonne jedoch zum wenigsten eine halbe Elle tief, wohl durchzusehen, das beste Gut mit einem doppelten, das halbe mit einem einfachen, und das Wrakgut mit einem halben Zirkel zu bezeichnen, und solche Zeichen mit einem glühenden Eisen einzubrennen, was er jedoch für untauglich befindet, nicht zu zeichnen, sondern zum Besten der Stadt=Siechen=Armen zu confisciren, oder, den Umständen nach, unter Aufsicht eines von dem Herrn Polizeimeister dazu beorderten Polizeibeamten, in die See schütten zu lassen.
  • Bei Häringen, für die erste Sorte oder das beste Gut, nur diejenigen zu erkennen, welche fett, von beiden Seiten weiß, von starker Gräte und gutem Salze sind; für die zweite Sorte, oder das halbe Gut, diejenigen, welche von der einen Seite zwar ein wenig angelaufen, jedoch von der anderen Seite hart und von gutem Salze sind; für die dritte Sorte, oder das Wrakgut, ober diejenigen, die von beiden Seiten angelaufen und weich sind; für untauglich endlich diejenigen, die sauer geworden und einen widrigen Geruch haben.
  • Nach geschehener Besichtigung die Fische wieder einzupacken und die Fastagien aufpacken, auch zur Conservation der Fische, nach Befinden der Umstände, die alte Laake, wenn sie gut ist, wieder aufgießen, falls sie jedoch schlecht ist, neue Salzlaake für Rechnung des Eigners machen zu lassen, so wie überhaupt hierbei für die möglichste Conservation der Fische Sorge zu tragen, und darauf zu sehen, daß die Gefäße von den Böttchern und Knechten mit Behutsamkeit behandelt, und so vor Beschädigung möglichst gesichert werden.

Gebrakt wurden aber nicht nur Heringe bzw. Fisch im Allgemeinen, sondern etwa auch das Holz, welches über den Memelstrom und das Haff, später durch den König-Wilhelm-Kanal für die in Memel ansässige Holz verarbeitende Industrie nach Memel geflößt wurde. Hierfür waren auch in Memel Braker tätig. Sie hatten das Holz zu besichtigen, zu prüfen und zu klassifizieren. Schaut man in die Memeler Adreßbücher, so findet man dort "Vereidigte Holzbraaker" wie z.B. Richard Lankowsky.

Wo Flachs aber auch z.B. Hanf verarbeitet und gehandelt wurde, gab es ebenfalls die entsprechenden Fachleute, die diese Waren zu braken hatten. Von Riga weiß man zum Beispiel, daß die Qualität der Hanfstricke von dort in halb Europa bekannt und geschätzt war. Um den Ruhm ihres Hanfs und Flachses unbefleckt zu erhalten, hat die Stadt die Gesellschaft der sogenannten "Braker" gegründet. Diese Braker sind ebenfalls beeidigte Personen, welche den angebrachten Flachs und Hanf "braken," d.h. seine Qualität bestimmen. Den schlechten verweisen sie ganz vom Markte, und den gut befundenen rangiren sie in 3 bis 4 Klassen. ... Es stehen Strafen darauf, "ungebrakte" Waare zu verkaufen.6)
Bei der Bezeichnung Flachs-Braker kann es allerdings zu Mißverständnissen kommen, denn jene, die bei der Flachsaufbereitung für das Brechen des Flachses zuständig waren, nannten sich auch Braker (Brake = die Flachsbreche, Braker = einer der Flachs bricht).



Photo: © Kestutis Demereckas, 2006

Ein lang gestrecktes Gebäude mit dem Grundriß der einstigen Heringsbrake steht noch am ehemaligen Östlichen Speicherplatz (im Bild unten rechts). Der einstige scheunenähnliche Bau mit zugigen Bretterwänden überdauerte natürlich nicht. Bei einem Stadtrundgang hat man es von der Börsenbrücke längs der Dange in Richtung Aschhofgraben nicht weit dorthin. Auf dem unmittelbar angrenzenden Gelände stieß man bei den Vorbereitungen zu einem Hotelneubau auf die Überreste der "Alten" Johanniskirche. Sie stand dort, bevor sie am Ende des 17. Jahrhunderts in die Marktstraße verlegt wurde. Über diesen sensationellen Fund berichtete das Memeler Dampfboot Nr. 10 vom 20. Oktober 2006.



1) Sembritzki, Johannes
Memel im neunzehnten Jahrhundert - Der "Geschichte Memels" zweiter Theil.
Memel 1902

2) Krull, Rudolf
Die Finanzwirtschaft preussischer kreisangehöriger Städte unter besonderer Berücksichtigung des Regierungsbezirks Königsberg.
Königsberg i.Pr., 1913

3) Miruss, Alexander
Hafen= und Lootsen=Ordnung für den Seehafen Memel vom 10ten Oktober 1809.
Das See-Recht und die Fluß-Schifffahrt nach den Preußischen Gesetzen, 1838.

4) Ungenannter Herausgeber
Denkschrift über Memels Seehandel, ....
Memel - 1862.

5)
Idiotikon der deutschen Sprache in Lief= und Esthland:
Fastage; die heißt 1. allerley hölzernes Geräthe, 2. ein rundes und ziemlich hohes Gefäß mit einem Deckel z.B. Butter=Fastage, 3. ein kleines Fäßchen, 4. ein großes Faß z.B. Brantewein=Fastage. Einige sagen Fastagie.
Riga - 1795

6) Kohl, J.G.
Die deutsch-russischen Ostseeprovinzen ....
Dresden und Leipzig - 1841.

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