Die Bevölkerung.
Die »Scherbenplätze«, das sind Wohnplätze der jüngeren Steinzeit (ca. 1000 Jahre vor Christi Geburt) mit ihren Urnen, Stein Werkzeugen und -waffen, Knochenresten und Bernsteinschmucksachen, welche auf der Nehrung bei Nidden und Pillkoppen, sowie auf dem benachbarten Festlande gefunden worden sind, weisen darauf hin, dass ein verhältnismässig kultivierter Volksstamm diese Gegenden schon damals bewohnte. (Aus der Bronzezeit sind hier ebenfalls Funde gemacht worden.) In geschichtlichen Berichten vor Einführung des Christentums in Preussen werden die Kuren genannt. Sie gehörten mit den »alten Preussen«, den Letten und Litauern zu dem baltischen Zweige des indogermanischen Sprachstammes und sind in der Zeit der Ordensherrschaft völlig ausgestorben. Ihre Nachfolger wurden die Letten, die wohl Sprachreste der Kuren mit übernahmen und heute noch fälschlich »Kuren« genannt werden. Zu ihnen gesellten sich die Litauer, deren Sprache von der sog. »Kurischen« jedoch verschieden ist, und Deutsche. Diese drei Volks- und Sprachstämme sind noch heute zu beiden Seiten des Haffes gemischt. Deutsch und Litauisch sind die Sprachen der Schule, der Kirche und des Verkehrs, Kurisch ist die Fischersprache bei der Ausübung des Tagewerks.
Ihrem Aeussern nach sind Litauer und »Kuren« grosse, elastische oder untersetzte, muskulöse Gestalten. Bei einigen Verschiedenheiten des Charakters sind beide doch gleich gastfrei und zuvorkommend gegen Fremde, im Umgang liebenswürdig und herzlich (was auch aus der zahllosen Diminutivbildung in ihrer Sprache hervorgeht), bei Rechtshändeln dagegen äusserst hartköpfig und prozesssüchtig. Mit grosser Zähigkeit hängen sie an Althergebrachtem und überlieferten Sitten und Gebräuchen. Sie zeichnen sich durch Königstreue, Vaterlandsliebe, Mut und Tapferkeit aus. Als Seemann und Kavallerist ist der Jüngling in seinem wahren Element. Alle sind streng kirchlich gesinnt und lieben ausser dem Kirchengottesdienst religiöse Zusammenkünfte in ihren Häusern. Diese Neigung, über religiöse Fragen viel nachzudenken und sie zu erörtern, führt oft zur Sektenbildung. Die betrübendste Schattenseite ihres Charakters ist wohl die Neigung zum Trunk und blühenden Aberglauben mit den verderblichen Folgeerscheinungen. An vielen Orten ist die farbenfrohe Volkstracht der Frauen und Mädchen noch unverfälscht erhalten. Bei den Männern tritt sie - abgesehen von dem dicken, flausartigen Werktagsanzug und Ueberrock aus selbstverfertigtem, ungefärbtem Wollenzeuge - weniger hervor.
Bauernhof.
Ihre getrennt liegenden Gehöfte zeigen bei Wohlhabenden dieselbe Anlage: Um einen viereckigen Hofraum gruppiert sich zunächst das Wohnhaus, dessen Giebelbretter in geschnitzte Pferdeköpfe auslaufen. In alten Fischerhäusern sucht man nach dem Schornstein vergeblich. Der Rauch des mächtigen, offenen Herdes verfängt sich in Diele und Bodenraum, um dort die aufgehäuften Netze zu konservieren und zu trocknen, ebenso um eventuell Fleisch und Fische zu räuchern. Die Annehmlichkeit eines solchen »Plätzchens am Herde« lässt sich leicht vorstellen. Neben dem Wohnhause steht die sogenannte »Klete«, ein schmuckes, kleines Vorratshaus mit einer zurücktretenden, offenen, durch Holzsäulen gestützten Vorhalle oder Veranda. Hier bewahrt der Bauer seine kostbarste Habe: seine wertvollsten Feld- und Gartenfrüchte, gefüllte reichbemalte Koffer, Schränke und Truhen und - seine älteste Tochter, die in den vorderen Räumen bis zu ihrer Verheiratung ihr Schlafgemach besitzt. Die anderen Seiten des Hofes werden durch Stall, Scheune und einen halb im Erdboden stehenden Keller begrenzt. Der Feuergefährlichkeit wegen fernab vom Gehöft steht die Pirte oder Jauja, ein strohgedecktes Gebäude ohne Schornstein. Es dient mit seinem den ganzen Innenraum ausfüllenden Ofen zum Flachstrocknen und -brechen, zum Backen und Dörren. Auf dem Giebel des altertümlichen Fischerhauses wehte früher noch eine holzgeschnitzte Windfahne mit daran befestigtem Wimpel. Dieselbe Fahne zierte auch den Kahn des Hauseigentümers. Da nun jede Fahne der Dorfinsassen eine besondere Schnitzerei aufwies (Kirchen, Schlösser, Häuser, Tiere etc.), konnte man den Besitzer schon an seiner »Hausmarke« erkennen. Diese charakteristischen Fahnen werden heute nur noch an den Haffkähnen beobachtet, besonders wenn eine Fahrt zu einer Familienfeierlichkeit unternommen wird.
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