Ins Nachbarreich
Nach Russisch - Krottingen, Garsden, Polangen.
Wer unsern östlichen Nachbarn, Russland, in seinen für das Grenzleben charakteristischen Landstädtchen kennen lernen will, dem bieten sich von Memel aus drei verschiedene Möglichkeiten. Mit einer Grenzkarte versehen, welche auf dem Polizei-Meldebüro Memel, Neuer Park 6, gegen eine Gebühr von 0,10 M für den dreimeiligen Grenzverkehr ausgestellt wird und für jeden Grenzübergang erforderlich ist, kann R u s s i s c h - K r o t t i n g e n am bequemsten und billigsten durch eine Bahnfahrt bis Bajohren erreicht werden. Um bei der Rückkehr nicht den Schluss des Grenzverkehrs zu versäumen, sei ausdrücklich auf den Unterschied der russischen Zeitrechnung aufmerksam gemacht. Nach Ueberschreiten der Grenze ist noch eine Wegstrecke durch braune, steinbesäte Heide von etwa 15 Minuten bis zum russischen Städtchen zurückzulegen. Schon von ferne leuchtet es mit seinen kleinen schindelgedeckten Häusern und schönen Kirchen, welche terassenartig auf dem linken Ufer der Dange gebaut sind, dem Wanderer malerisch entgegen.
Auf dem viereckigen Marktplatz stehen die griechisch - katholische, dahinter die evangelische Kirche. Rund um den Markt liegen das Zollgebäude, das Offizierskasino der Grenzbrigade, das Militärlazarett, die Apotheke und das einzig annehmbare Gasthaus von Katzenellenbogen. Aber auch hier sind für den Fremden nur abgekochte Eier, Tee, Rigaer Bier, russische Liköre, Zigaretten und Konfitüren erhältlich.
Griechisch-katholische Kirche in Russ. Krottingen.
Vom Marktplatz nördlich befinden sich die Hauptsehenswürdigkeiten des Städtchens: das römisch-katholische Kloster der Cluniacenser mit eigener Kirche und dahinter das Schloss des Grafen Tyszkiewicz mit prächtigem Park und Palmenhaus. Beide sind dem Fremden zugänglich, die inneren Gänge und Zellen des Klosters nur für männliche Besucher.
Einen ähnlichen Typ stellt das kleinere G a r s d e n, welches an dem malerischen rechten Ufer der Minge liegt und durch die Kleinbahn Memel-Dawillen-Laugallen noch bequemer zu erreichen ist.
Einen ungleich erfreulicheren Eindruck macht P o l a n g e n. Es ist 25 km von Memel entfernt und nur längs der Chaussee Memel-Nimmersatt zu erreichen. In Nimmersatt gute Unterkunft im Kurhause. Polangen besitzt saubere, pfannengedeckte Häuser, ein Villenviertel für Badegäste, ein Kurhaus mit Theater und wohlgepflegtem Kurgarten, ein Progymnasium und eine neue Kirche. Eine kleine Fabrik für Bernsteinwaren ist ebenfalls sehenswert. (Bei etwaigem Kauf von Bernsteinandenken sei darauf aufmerksam gemacht, dass die Preise übermässig hoch und auf Feilschen berechnet sind. Die Hälfte des geforderten Preises ist meistens der reelle Wert.) Angenehm berührt es, dass hier weniger Armut und aufdringliches Bettelwesen herrschen als in Krottingen, obwohl beide Städte nur 10 km voneinander entfernt liegen. Krottingen gehört zu Polen, Polangen zu Kurland.
Niemand versäume es, den herrlichen Naturpark des gräflichen Schlosses, ebenfalls einem Grafen Tyszkiewicz gehörig, zu besichtigen. Hinter dem Schlosse an einem Bergabhange steht eine künstliche Grotte, welche eine Nachbildung derjenigen von Lourdes sein soll. Am Seestrande ragt eine lange Landungsbrücke weit ins Meer hinein. Sie sollte das Anlegen von Dampfern ermöglichen, ist aber durch Versanden unbrauchbar geworden und geht dem gänzlichen Verfall entgegen. Um das Anlegen von Schmugglerbooten zu verhindern, steht hier eine russische Grenzwache. Die Fernsicht reicht nördlich bis zu den Wäldern von Heiligenaa und Papensee (halbwegs Libau), südlich bis zur Holländischen Mütze.
Bauernhof.
|